Ich weiß schon: Streng genommen ist das Wort "Muttersprache" unkorrekt. Weil Menschen ja nicht nur "Mütter", sondern auch Väter und andere Menschen als enge Bezugspersonen haben. Wissenschaftlich sagt man "Erstsprache" dazu, und meint damit: Jene Sprache, in der die erste sprachliche Prägung erfolgt.
Dennoch schwingt beim Wort "Muttersprache" eine emotionale Dimension mit, die wichtig ist. Weil es beim Thema Sprache in der Kindheit ja nie ausschließlich um Verständigung geht. Sondern gleichzeitig immer um viel mehr: Um Bindung, Beziehung, Zugehörigkeit, Identität.
In der Muttersprache fühlt man sich - im Idealfall - "zu Hause". Erinnert sich an Reime, Lieder, Gerüche, dumme Sprüche, Rituale. Und diese Dimension bleibt. Egal, wie viele weitere Sprachen sich im Lauf des Lebens noch über die Erstsprache drüberlegen - im Kindergarten, in der Schule, im Nachbardorf, in neuen Beziehungen, in den Medien, im Beruf, bei Behörden, oder bei Aufenthalten in anderen Ländern.
In Österreich werden - laut Statistik - 250 verschiedene Sprachen gesprochen. Wir haben Deutsch als Erstsprache, sowie auch die Sprachen der autochtonen Minderheiten - Slowenisch, Ungarisch, Burgenlandkroatisch, Romani, Tschechisch und Slowakisch. Wir haben die vielen, vielen Sprachen von Einwanderern verschiedenster Generationen, von Albanisch bis Zulu. Wir haben verschiedene Gebärdensprachen. Und unzählige Dialekte.
Wir wissen aus der Forschung, dass das sichere Lernen der Erstsprache für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig ist. Und das Lernen jeder weiteren Sprache erleichtert. Umso tragischer ist es, wenn dieser Spracherwerb behindert oder gestört wird. Etwa, wenn Sprachen politisch unterdrückt werden. Wenn es gefährlich ist, sie öffentlich zu sprechen. Wenn Kinder lernen, ihre Erstsprache zu verleugnen, sich dafür schämen, oder deswegen diskriminiert werden.
Österreich tut leider viel zu wenig, um den riesigen Schatz seiner Vielsprachigkeit gebührend wertzuschätzen. Vieles könnte man im Bildungssystem verbessern: Etwa gezielte Förderung der Mehrsprachigkeit, schon im Kindergarten. Sprachsensible Ausbildung der Pädagog:innen. Stärkung der Sprachexpertise der Eltern. Detailliertere Dokumentation der Erstsprachen bei der Schuleinschreibung, ausdrückliche Empfehlung zum Besuch des Erstsprachenunterrichts, enge Zusammenarbeit zwischen Klassen-, Erstsprachen- und Deutschlehrkraft, Alphabetisierung in der Erstsprache, neue Sprach-Matura-Fächer und Lehramtsstudien. Gemeinsam mit Expert:innen arbeite ich eben an dem Konzept für einen Schuversuch, bei dem ein fixer Wochentag der jeweiligen Erstsprache gewidmet ist ("Montag ist Erstsprachentag"). Für ländliche Grenzregionen, wo eine spezielle Zweitsprache dominiert, könnte das ebenso interessant sein wie in urbanen Ballungsgebieten mit ihrer riesigen Sprachenvielfalt. Ich halte euch auf dem Laufenden!
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