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Donnerstag, 19. Dezember 2019

Station 9: Undercover in Wien, Juni 2006

Heute bin ich Putzfrau

Ich gehe auf die Straße und sehe anders aus als sonst. Ich trage eine ausgeleierte Jogginghose, ein verwaschenes T-Shirt und habe statt meiner Ledertasche bloß einen Plastikbeutel dabei. Ich überquere den Gürtel, mein Herz klopft vor Nervosität, gleich werde ich an einer Adresse, wo ich vorher noch nie war, einen Klingelknopf drücken. Über ein Kleininserat habe ich mich als Putzfrau angeboten, um 10 Euro pro Stunde. Warum? Weil ich für ein Buch recherchiere - über die vielen Frauen, die Tag für Tag in österreichischen Privathaushalten arbeiten, als Betreuerinnen, Babysitterinnen, Putzfrauen. Ich war in ihren Heimatländern. Habe Studien analysiert und Interviews mit ihnen gemacht. Bloß eines fehlte mir noch, um das Puzzle vollständig zusammenzusetzen: Der Rollenwechsel. Selbst auszuprobieren, wie es sich anfühlt.

 
„Franziska“ nenne ich mich heute, und werde, wenn man mich fragt, sagen, ich käme aus Moldawien. Wie man mir wohl begegnen wird – nett oder herrisch, offen oder verschämt? Was man wohl von mir verlangen wird – Klo putzen, Betten beziehen, Boden wischen, bügeln? Und ob ich das alles gut genug kann?

Eine halbe Stunde später stehe ich an einem Fenster im dritten Stock, hoch über dem brausenden Verkehr am Gürtel, und braune Brühe rinnt an meinem Arm herunter. Ich helfe einem älteren, gehbehinderten Mann beim Fensterputzen. Die Vorhänge haben wir gemeinam schon abgenommen, jetzt sind die Scheiben dran. Der Mann ist höflich, fürsorglich, respektvoll. Er stammt aus dem Iran, ist – bis zu einem schlimmen Unfall - jahrzehntelang Taxi gefahren, und hat allein drei Kinder großgezogen. Ich lausche, als er mir Teile seiner Lebensgeschichte erzählt. Und fühle mich zutiefst beschämt, als er mir ein Trinkgeld anbietet – weil er annimmt, ich hätte es im Leben noch schwerer als er selbst. 

Es sind höchst lehrreiche Wochen für mich. Ich lerne Wien neu kennen. Als Franziska schrubbe ich Messie-Haushalte und Nobelvillen. Treffe Menschen, die routiniert Dienstboten herumkommandieren, und andere, die vom Leben völlig überfordert sind. Abends schmerzen meine Handgelenke, tut mein Rücken weh, und meine Hochachtung vor allen Menschen, die mit dieser Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen, wächst jeden Tag.

Mir wird dabei klar: Ich mit genau meiner Biographie (Mitte vierzig, Akademikerin, zwei kleine Kinder) könnte tatsächlich Franziska sein und vom Putzen leben müssen – hätte ich das Pech, nicht in Wien, sondern in Moldawien geboren worden zu sein, dem ärmsten Land Europas. Und noch eines fällt mir auf: Der iranische Invalide wird am Ende meines Feldversuchs der einzige bleiben, der Franziska persönliche Fragen gestellt hat. Der wissen wollte, wer sie ist, wie es ihr und ihren Kindern geht, welche Ziele sie im Leben hat. Allen übrigen Arbeitgeber:innen reichte Vorname und Handynummer. Obwohl ich in ihre intimsten Winkel hineingeblickt habe. Oder: Vielleicht gerade deswegen?

Wie schade, denke ich mir. Wie viel Interessantes man über Österreich erfahren könnte, würde man es genauer aus der Perspektive jener betrachten, die unter österreichischen Sofas saugen. Diese Menschen könnten uns viel über Pendelmigration erzählen, über grenzüberschreitende transeuropäische Beziehungen, über die Tücken und Lücken der nationalen Sozialversicherungssysteme. Über Verantwortung, über ökonomische Abhängigkeiten. Und über Familie.

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