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Dienstag, 2. April 2024

Schule im Krieg

Wie ist es, im Krieg in die Schule zu gehen? Wie findet Unterricht unter Raketenbeschuss statt, wie gehen Schüler:innen und Lehrer:innen mit dieser extremen Belastung um? Und wie hält man den Kontakt zu zehntausenden geflüchteten Kindern aufrecht?

Um diese und andere Fragen zu recherchieren, habe ich die vergangene Woche in der ukrainischen Hafenstadt Odesa verbracht. Ich habe mit Kindern, Jugendlichen, Lehrer:innen, Eltern und Politikerinnen gesprochen. Ich habe mitlerlebt, wie sich das anfühlt, wenn mitten in der Nacht die Sirenen losheulen. Hier möchte ich über ein paar meiner Erkenntnisse berichten:

  • Die Lage in Odessa hat sich in den vergangenen Wochen wieder zugespitzt. Es gibt beinahe täglich russische Luftangriffe, entweden durch Raketen oder durch ferngesteuerte Drohnen. Manche können von der Luftabwehr abgefangen werden; doch auch herabfallende Teile können Schaden anrichten, Menschen verletzen, Gebäude beschädigen.
  • Luftalarm bedeutet: Bringt euch in Sicherheit - vor der Druckwelle, zerberstenden Fensterscheiben. Zu Hause geht man dann in die Garage, in einen fensterlosen Korridor. In Schule und Kindergarten müssen alle Kinder dann rasch in einen Luftschutzraum, meist im Keller des Gebäudes. Sie haben immer Notfallrucksäcke bei sich, mit Wasser und Proviant.
  • Der Alarmzustand kann nach 30 Minuten aufgehoben werden, oder auch mehrere Stunden andauern. Dann wird die Zeit oft lang. An normalen Unterricht ist im Bunker nicht zu denken. Man spielt Karten oder Handy, döst, versucht einander zu beruhigen. Für die Lehrkräfte eine schwierige Aufgabe, die ihnen viel psychologisches Geschick abverlangt.
  • Im vergangenen Schuljahr gab es in Schulen noch kaum Luftschutzräume. Deswegen fand der Unterricht - vor allem in den höheren Klassen - meist online statt. Im heurigen Schuljahr versucht man, soviel Präsenzunterricht wie möglich zu machen. Für alle, die sich fürchten (speziell vor dem Schulweg) werden allerdings gleichzeitig online-Klassen angeboten, die Eltern durften abstimmen. Ein enormer organisatorischer Aufwand!
  • Beinahe die Hälfte der Schulkinder floh in den ersten Wochen des Krieges. Viele sind seither zurückgekommen, 40.000 aus der Region Odesa aber immer noch im Ausland. Viele sind in Rumänien und Bulgarien (wo Väter als Seeleute arbeiten) - dort müssen sie nicht in die Schule, sondern schalten sich dem ukrainischen Unterricht online zu. In Deutschland und Österreich hingegen müssen Flüchtlinge in die örtliche Schule gehen. Für sie gibt es zusätzliche ukrainische Online-Kurse am nachmittag.
    * Von den 12.000 geflüchteten Lehrer:innen sind 8000 wieder zurückgekommen. Manche geben Online-Unterricht vom Ausland aus - für Kinder, die in viele Länder und Zeitzonen verstreut sind. Diese Lehrerinnen befinden sich weiterhin im normalen ukrainischen Schuldienst. Bekommen allerdings auch nur das übliche ukrainische Gehalt von umgerechnet ca 200€ im Monat - wovon man in Westeuropa kaum leben kann.
  • Gleichzeitig sind 60.000 geflüchtete Kinder aus anderen Landesteilen hinzugekommen - sie kamen etwa aus Cherson, Mariupol oder den von Russland besetzten Ost-Provinzen. Häufig haben sie schlimme Erfahrungen gemacht. In Odesa müssen sie in die Schulen integriert werden. Viele von ihnen sprechen nur wenig ukrainisch.
  • Die psychologischen Herausforderungen für Lehrkräfte sind enorm. Sie müssen die Kinder in ihrer Obhut physisch beschützen, und gleichzeitig mit Traumata, Verlusten und Ängsten fertigwerden. Jedes Kind geht mit dem Stress anders um. Viele können sich schwer konzentrieren. Manche werden zu Raketenexperten, andere brauchen Trost und wollen reden, andere brauchen Ablenkung.
  • Dazu kommt der Schafmangel. Wenn in der Nacht dreimal die Sirenen geheult haben, sind im Unterricht alle müde und mit den Nerven am Ende - die Lehrkräfte genauso wie Kinder und Eltern.
  • Und auf Schritt und Tritt begleitet alle die Unsicherheit: Wie geht es dem Vater, der Tante, dem Bruder an der Front? Wie wird dieser Krieg weitergehen? Speziell in Odesa fürchtet man sich derzeit vor einer neuen russischen Offensive, und davor, dass Putin die gesamte Schwarzmeerküste unter seine Kontrolle bringen will. Wer wird einem dann beistehen? Werden wir nochmal fliehen? Oder selber kämpfen müssen?

Unter all diesen extremen Umständen schaffen es Kinder und Erwachsene in den ukrainischen Schulen, sich weiterhin mit mathematischen Gleichungen und Englisch-Vokabeln zu beschäftigen. Und bei Laune zu bleiben. "In Geographie sind wir deutlich besser geworden, seit wir die Raketen-Warnungen auf Telegram verstehen müssen, ich hab jetzt die gesamte ukrainische Landkarte im Kopf", scherzt die 15jährige Sophiia.
Die Begegnung mit Sophiia und den anderen Menshcen in Odesa ringen mir riesige Hochachtung ab. Und sie haben mir, deutlich wie nie, gezeigt: Schule ist nie bloß "Unterricht" oder "Wissensvermittlung". Schule ist immer auch ein Ort für Beziehungen. Wo man aufeinander schauen muss, und gemeinsame Erfahrungen macht, die einen lebenslang prägen können. Im Krieg erst recht.

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