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Sonntag, 15. Dezember 2019

Station 6: Bosnien, September 1996

Hass zerstört Heimat

Sefik D. lernte ich neben dem Südbahnhof kennen, wo in den Neunzigerjahren ein riesiger Busparkplatz war. Für viele sogenannte „Gastarbeiter:innen“ spielte dieser Platz eine ganz wichtige Rolle im Leben – denn hier fuhren die Langstreckenbusse in Richtung Balkan ab. Zur Oma. Zum Onkel Dragan. Zu den Cousins und Cousinen. In jene Dörfer, wo  man fast jeden Sommerurlaub verbrachte.

Jahrelang, jeden Freitag abend, stieg hier auch Sefik D.


in den Bus nach Jajce. Im Bus saßen lauter Leute wie er: Hackler, die in Wien am Bau arbeiteten, in kleinen, finsteren Wohnungen wohnten, aber am Wochenende, daheim im Dorf, mit eigenen Händen ihr eigenes Haus bauten. Mit der Idee, später einmal dorthin zu ziehen. Irgendwann. Vielleicht in der Pension.

Als Sefik D. noch ein "Jugoslawe" war, fuhr man in diesem Bus gemeinsam, denn Jajce war eine ethnisch gemischte Stadt. Aber dann begann der Bosnien-Krieg, und aus Jugoslaw:innen wurden Serb:innen, Kroat:innen und "Muslime". Mehrmals zog über Jajce die Front hinweg. Und dann fuhren plötzlich zwei Busse vom Südbahnhof weg: Einer auf die serbische Seite. Und ein anderer auf die Seite der muslimisch-kroatischen Föderation.

Man sah immer noch dieselben Gesichter am Busparkplatz, man nickte einander zu, wechselte vielleicht ein paar Worte. Doch dann stieg man in verschiedene Busse, die verschiedene Routen durch das geteilte Land fuhren. Die Dörfer am Ende der Reise waren inzwischen „ethnisch gesäubert“, und von der einen Seite der Front gab es kein Durchkommen mehr auf die andere Seite. Die Häuser, die man früher Nachbarhäuser nannte, standen jetzt im Feindesland.

Ich begleitete Sefik im Sommer 1996, als er, zum ersten Mal seit fünf Jahren Krieg, wieder nach Hause fuhr. Seine Frau und seine beiden Teenager-Kinder kamen nur widerwillig mit. Je länger die nächtliche Fahrt dauerte, desto stiller wurden sie. In der Morgendämmerung wischte die 15jährige Tochter Alma die Fensterscheiben neben ihrem Sitz sauber und zählte die ausgebrannten Ruinen am Straßenrand. „Ich will nicht nach Hause“, sagte sie schließlich knapp, und beschloss, mit Bruder und Mutter an der Busstation sitzenzublieben.

Ich war mit Sefik also allein, als wir vorsichtig über das von wilden Himbeeren überwucherte Grundstück stapften. Der Rahmen der Eingangstür war herausgebrochen, der Klingelknopf ebenso, nur das Türschild mit Sefiks Familiennamen war noch da. Drinnen: eine umgeworfene Schrankwand. Die Scherben eines Waschbeckens. Die Gebrauchsanleitung für einen Hitachi-Fernseher. Ein zerfleddertes Französisch-Vokabelheft. „Travailler“ – arbeiten. „Le mortier“ – der Mörtel. „La maison“- das Haus.

„Bauen, reparieren, alle zusammen, alles gut“, sagte Sefik. Er versuchte, optimistisch zu klingen, aber es gelang nicht.

Es war eine schöne Idee, die ihn all die Jahre wach gehalten hatte – dass man später einmal vor dem Haus mit den Nachbarn zusammensitzen würde, Feuer machen, Cevapi essen, Bier trinken, umwuselt von Enkelkindern. Dann würde sich alles ausgezahlt haben – die vielen Jahre harter Arbeit, die enge Wohnung in Floridsdorf, die kaputten Bandscheiben. Aber die einst tausend Bewohner:innen des Dorfes waren schon über halb Bosnien und halb Europa verstreut – geflohen die einen, vertrieben die anderen, und nur die wenigsten würden je zurückkehren.

Sefik sah verloren aus in jenem Moment. Sein Zuhause war immer noch Jugoslawien. Aber das gab es längst nicht mehr.

Übrigens: Ungefähr zur selben Zeit, als ich nach Bosnien fuhr, besuchte ein zehnjähriges bosnisches Flüchtlingsmädchen namens Alma in Wien die Volksschule. Heute ist sie grüne österreichische Justizministerin. Eine Geschichte, die mich stolz und glücklich macht.

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